Gründungsakte:n

Heinrich Klotz, das DAM und der Konflikt um die Postmoderne 1979 bis 1989


Studentische Spurensuche in den Gründungsakten II: Die Panoramavision der Ausstellung Revision der Moderne

Welche Rolle spielen Institutionen, Diskurse, Netzwerke und Praktiken eigentlich dafür, welche Debatten in und über Architektur geführt werden, wer daran teilnimmt und welche Architekturen wie beurteilt werden? Und wie lässt sich eigentlich etwas darüber herausfinden? Diesen Fragen widmete sich eine Gruppe Studierender der Goethe-Universität Frankfurt am Main im Rahmen des Seminars „Heinrich Klotz und das DAM“, indem sie ausgewählte Aktenordner aus dem Bestand der DAM Gründungsakten untersuchten. Der folgende Text ist einer von insgesamt vier Gastbeiträgen auf diesem Blog, in denen Teilnehmer:innen des Seminars einige ihrer Forschungsergebnisse vorstellen.

Multivision für die Ausstellung „Revision der Moderne. Postmoderne Architektur 1960-1980“, 1984, Filmstills von Minute 00:24, 03:36, 04:40, 00:48, 14:30, 15:26, 14:45 (von links nach rechts), Skript und Bildmaterial: Deutsches Architekturmuseum, Umsetzung: von slatow ideeratio Co KG (Olaf und Gisela von Slatow).

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© DAM und die jeweiligen Urheber:innen bzw. ihre Rechtsnachfolger:innen.

von slatow ideeratio Co KG (Olaf und Gisela von Slatow), Drehbuchentwurf zur Panorama-Multivision „Revision der Moderne“, 7.1.1984, Inv.-Nr. 005-703-1XX.

Heinrich Klotz, Sprecher:innen-Skript zur Panorama-Multivision „Revision der Moderne“, ohne Datum, Inv.-Nr. 005-703-1XX.

© DAM und die jeweiligen Urheber:innen bzw. ihre Rechtsnachfolger:innen.

Die Panoramavision der Ausstellung Revision der Moderne

Max Zimmermann

Am 1. Juni 1984 wurde Die Revision der Moderne. Postmoderne Architektur 1960 – 1980 als erste Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums, die in seinem gerade fertiggestellten Neubau stattfand, am Schaumainkai eröffnet. In der ersten Woche ihrer Laufzeit wurde die Ausstellung durch eine sogenannte Panoramavision eingeleitet: Eine durch zwölf Projektoren und sechs Kontrolleinheiten synchronisierte Diashow, untermalt mit atmosphärischer Musik und einem von drei Personen eingesprochenen Text. Die Audiovision stellte provokante Fragen zur gegenwärtigen Architektur und bot eine Einführung in die Ausstellung. Die darin behandelten Themen waren dabei identisch zu denen der Ausstellung und des sie begleitenden Kataloges, der Stil und die Konnotationen variierten hingegen stark: Wo der Katalog nüchtern argumentiert, wird in der Panoramavision klar gewertet.

Die Panoramavision beginnt mit einem Blick auf die europäische Architektur zu Anfang des 20. Jahrhunderts, die charakterisiert durch eine überschwängliche Verwendung des Ornaments dargestellt wird. Dem widersetze sich die „weiße“ Moderne in klaren farblosen Formen, vertreten durch Architekten wie Le Corbusier und Erich Mendelsohn, die sich auf schlichte geometrische Gestaltung besannen. Diese Ansätze hätten sich allerdings in der Nachkriegszeit zu einer Containerarchitektur verwandelt, fernab von den ursprünglichen Idealen der modernen Architektur. Die Panoramavision endet damit, Architekten wie Charles Moore, Josef Paul Kleihues und Rob Krier, die traditionell der „Postmoderne“ zugeschrieben werden, als Retter der Architektur vorzustellen. Die Arbeiten dieser prominent in der Revision der Moderne vertretenen Protagonisten, würden wieder einen künstlerischen Wert in sich tragen und hätten dem Ornament neuen Sinn verliehen. 

Die Panoramavision ist strukturiert durch kurze Äußerungen, die teils auf bekannte Zitate, etwa von Adolf Loos oder Ludwig Mies van der Rohe Bezug nehmen, wie „Ornament ist ein Verbrechen!“, „Weniger ist mehr! Ist weniger mehr?“, oder „Das Ideal: der reine Kubus.“, „Die neue Realität: der Container.“ (Abbildungen oben), unterstützt durch wechselnde Musik.

Insgesamt ist die Arbeit geprägt durch einen die Besucher:innen subjektiv adressierenden Stil, der, unterstützt durch Adjektive wie „grotesk“, „billig“ und „inflationär”, klare Positionen projiziert. Unterstützt wird dieser Eindruck auch durch die Verteilung der Inhalte auf die drei Sprecher:innen: Während die weiblich gelesene über harmonischere, positivere Aspekte spricht, übernimmt eine der männlich gelesenen Stimmen eine Art neutrale Moderation, während eine andere die Rolle eines Kritikers einnimmt.

Ein Vorentwurf für die Panoramavision, verfasst von Heinrich Klotz, aber auch das Drehbuch der sie realisierenden Firma von slatow ideeratio Co KG (Olaf und Gisela von Slatow) belegen, dass ein subjektiv-wertender Ton von Beginn an intendiert war (Material 1). Klotz erstellte zunächst einen Textentwurf, organisiert nach einzelnen Bildseiten, die Einteilung der Stimmen folgte später (Material 2). Dieser Text wurde dann durch Olaf und Gisela von Slatow, die die Produktionsfirma leiteten, in ein Drehbuch weiterentwickelt, auf dessen Basis die Panoramavision in Abstimmung mit dem DAM realisiert wurde. Die verwendeten Dias und die Tonspur sind heute nicht mehr aufzufinden, jedoch existiert eine Videoaufnahme der Vorstellung

Das DAM war nicht die erste Institution, die eine Panoramavision in ihre Ausstellungstätigkeit integrierte. Olaf und Gisela von Slatow hatten im Frankfurter Raum bereits Erfahrung mit dieser Art von Installation und sowohl das Senckenberg Naturmuseum, als auch das Historische Museum nutzten Multiprojektionssysteme für die didaktische Vermittlung. Doch auch über die Grenzen Frankfurts hinaus war der Einsatz solcher Systeme verbreitet. Bereits zwölf Jahre vor der Eröffnung des DAM präsentierte beispielsweise die documenta 5 (1972) ein „Audiovisuelles Vorwort“. Abgesehen von einer doppelten Anzahl an Projektoren, war die Technik im Vergleich zu der im DAM eingesetzten identisch. Man hatte einerseits den auditiven Anteil, der über eine Tonspur auf einer Anlage abgespielt wurde. Der wesentlich aufwendigere Anteil solcher Installationen war jedoch die Gestaltung von Bildern und Bildsequenzen durch synchronisierte Diaprojektoren. Die ausgewählten Bilder wurden miteinander in Verbindung gesetzt, gespiegelt, wiederholt, bearbeitet und in verschiedenen Geschwindigkeiten überblendet. Ergänzt durch grafische Elemente entstanden so neue Bildwelten und -räume, während Zeichen, Pfeile und Hinweise die didaktischen Aussagen der Audiovision unterstrichen. Im Kontext der documenta wurde tatsächlich von einer Art „Besucherschule“ gesprochen, die komplizierte künstlerische Sachverhalt an ein breites Publikum vermitteln sollte. So ist wohl auch die Panoramavision der Revision der Moderne im DAM einzuordnen – eine didaktische Einführung für ein fachfremdes Publikum. Dabei wird in dem Multiprojektionssystem die inhaltliche Ausrichtung unmissverständlicher ersichtlich, als in der eigentlichen Ausstellung. Bereits vor dem ersten Blick auf die eigentlichen Ausstellungsstücke, wurde den Besucher:innen kein Zweifel an deren historisch bedingter Notwendigkeit und ihrem künstlerischen Wert gelassen. 

Was rückblickend verwundert, ist die kurze Laufzeit der Audiovision von lediglich einer Woche, während die Ausstellung für mehr als vier Monate im DAM zu sehen war. Unklar bleibt, ob dies von Beginn an so geplant war. Ein Faktor mögen die dafür angefallenen Kosten gewesen sein, denn die Miete der technischen Geräte muss damals sehr kostspielig gewesen sein. Dennoch stellt sich damit die Frage, inwiefern der Aufwand des Erstellens eines Drehbuchs, der Produktion und dem Aufbau gerechtfertigt war, konnte doch nur eine kleine Anzahl der Besucher:innen die Installation auch sehen?

Ein Ziel erfüllte die Realisation der Panoramavision jedoch mit Sicherheit: Man konnte die erste Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums im eigenen Haus mit jenem Anspruch eröffnen, mit dem das Museum konzipiert wurde. Nicht nur konnte man einen bemerkenswerten Museumsbau und eine stetig wachsende Sammlung mit Werken namhafter Architekturschaffender vorweisen, sondern auch mit den aktuellsten didaktischen Methoden aufwarten. Man war auf dem neuesten Stand im Feld der Museen, in das sich das DAM einordnen musste. 

Anmerkungen:

(1) Ausst.kat. Befragung der Realität. Bildwelten heute, Kassel (Katalog der documenta 5, herausgegeben von Harald Szeemann und Marlis Grüterich), Kassel 1972, K. 2, S. 1-19.

Max Zimmermann

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